Gemeinsames Positionspapier
Stellungnahme zur Planung eines gemeinsamen Schulzentrums für Gymnasium und Gemeinschaftsschule Wentorf – Plädoyer für zwei eigenständige Schulneubauten
Wir, die unterzeichnenden Schulleitungen der Gemeinschaftsschule Wentorf und des Gymnasiums Wentorf, erkennen den dringenden Bedarf an modernen und zukunftsfähigen Schulgebäuden für unsere beiden Schulen uneingeschränkt an. Wir begrüßen daher grundsätzlich die Initiative der Gemeinde, in neue Schulbauten zu investieren.
Mit großer Sorge haben wir jedoch die aktuellen Pläne zur Kenntnis genommen, die vorsehen, beide Schulen in einem einzigen, sehr großen Schulzentrum auf einem gemeinsamen Grundstück mit einer prognostizierten Schülerzahl von ca. 1.900 Schülerinnen und Schülern sowie über 150 Lehrkräften zusammenzuführen.
Obwohl wir die Absicht verstehen, durch ein gemeinsames Zentrum ökonomische Synergieeffekte zu erzielen, sind wir nach eingehender Prüfung und gemeinsamer Beratung zu der festen Überzeugung gelangt, dass dieses Vorhaben die pädagogische Qualität, das soziale Miteinander und die langfristige Funktionalität beider Schulen erheblich gefährden würde. Wir lehnen daher die Errichtung eines solchen Riesen-Schulzentrums entschieden ab und plädieren dringend für die Planung und Realisierung von zwei separaten, funktional eigenständigen Schulneubauten an geeigneten Standorten. Dabei muss die Gemeinschaftsschule schnell ein neues Gebäude erhalten, da die Entwicklung der Schülerzahlen eine eigene Dynamik entwickelt und keinen Aufschub duldet.
Unsere erheblichen Bedenken gründen sich auf folgende Punkte:
1. Pädagogische und soziale Risiken einer „Mega-Schule“ (Wissenschaftliche Evidenz)
Eine Schule mit 1.900 Schülerinnen und Schülern überschreitet deutlich die Größe, ab der wissenschaftliche Studien ernsthafte Nachteile für das Schulleben konstatieren. Die umfassende europäische Studie EENEE Analytical Report No. 24 („The Effect of School Size on Student Outcomes: A Review of the Literature“, Mai 2021), die im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt wurde, weist auf klare Risiken sehr großer Schulen hin:
Anonymität und Entfremdung: Sehr große Schulen fördern Anonymität, was das für den Lernerfolg essenzielle Zugehörigkeitsgefühl („sense of belonging“) der Schülerinnen und Schüler untergräbt (vgl. EENEE AR24, S. 19ff.). Dies erschwert den Aufbau stabiler Beziehungen und kann zu sozialer Isolation führen.
Geringere Partizipation: Die Studie belegt, dass die Beteiligung an außerschulischen Aktivitäten und am Schulleben in sehr großen Schulen tendenziell sinkt (vgl. EENEE AR24, S. 21). Engagement und Identifikation mit der Schule nehmen ab.
Negatives Schulklima und Wohlbefinden: Größe kann mit einem schlechteren Schulklima, mehr Verhaltensproblemen und einem geringeren Wohlbefinden der Lernenden korrelieren (vgl. EENEE AR24, S. 20f.). Die soziale Kontrolle und persönliche Ansprache sind erschwert.
Benachteiligung von Risikogruppen: Gerade Schülerinnen und Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf (z.B. aus sozial schwächeren Verhältnissen, mit Lernschwierigkeiten) leiden überproportional unter der Anonymität und den weniger persönlichen Strukturen sehr großer Schulen (vgl. EENEE AR24, S. 4, S. 23). Individuelle Förderung wird massiv erschwert.
2. Massive infrastrukturelle und funktionale Defizite
Das vorgesehene Grundstück mit ca. 30.000 qm ist für die geplante Anzahl von fast 2.100 Personen (Schüler + Personal) bei weitem unterdimensioniert. Dies führt zwangsläufig zu:
Überfüllung und Verdichtung: Unzureichende Pausenflächen, massive Lärmbelastung, Stress und erhöhtes Konfliktpotenzial im Schulalltag.
Ressourcenkonflikte: Permanente Engpässe und komplexe Koordinations-notwendigkeiten bei der Nutzung von Mensa, Sporthallen, Fachräumen und Außenflächen. Dies schränkt die pädagogische Flexibilität beider Schulen massiv ein und beeinträchtigt auch den Vereinssport.
Verkehrsprobleme: Eine unzumutbare Belastung des Umfelds durch den gebündelten Bring- und Holverkehr sowie den öffentlichen Nahverkehr.
3. Fragwürdige Ökonomie – Unterschätzte Folgekosten und Reibungsverluste
Die erhofften Einsparungen durch Synergien bei Bau und Betrieb drohen durch hohe, dauerhafte Folgekosten und Effizienzverluste zunichte gemacht zu werden:
Erhöhter Personalbedarf: Notwendigkeit für mehr Schulsozialarbeit, Beratungslehrkräfte und potenziell Aufsichtspersonal zur Bewältigung der sozialen Komplexität und Konflikte.
Massiver Verwaltungsaufwand: Extreme Komplexität bei Stunden- und Raumplanung, Organisation des Alltags und Verwaltung der geteilten Ressourcen bindet erhebliche Personalressourcen.
Höhere Betriebskosten: schnellere Abnutzung überlasteter gemeinsamer Bereiche.
Steigerung von Vandalismusschäden: Punkt 1 bildet die Grundlage für die Annahme einer deutlichen Zunahme entsprechender Beschädigungen am Schul- und Gemeindeeigentum.
Ineffizienzen: Zeitverluste durch lange Wege, Wartezeiten und ständige Abstimmungsprozesse („Reibungsverluste“).
Gesundheit und Fluktuation: Erhöhter Stress für das Personal in einem Großbetrieb kann zu mehr Krankheitstagen und höherer Fluktuation führen.
Wir sind überzeugt, dass die Investition in zwei separate, gut dimensionierte und funktional durchdachte Schulgebäude langfristig die nachhaltigere und für die Bildungsqualität bessere Lösung darstellt – auch unter Berücksichtigung der Gesamtkosten über den Lebenszyklus der Gebäude.
Unser Appell und Angebot:
Wir appellieren dringend, die Pläne für ein gemeinsames, großes Schulzentrum zu überdenken und stattdessen die Weichen für zwei eigenständige, zukunftsfähige Neubauten der Gemeinschaftsschule Wentorf und für das Gymnasium zu stellen. Dies erhält die bewährten Strukturen, die pädagogischen Profile und ermöglicht ein Schulleben in einer förderlichen, überschaubaren Größenordnung.
Die Schulleitungen und Elternvertretungen beider Schulen sind bereit und willens, sich konstruktiv in den weiteren Planungsprozess einzubringen, um gemeinsam mit allen Beteiligten die besten Lösungen für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen in Wentorf bei Hamburg zu finden.
Wir bitten um eine wohlwollende Prüfung der schwerwiegenden Bedenken und stehen für persönliche Gespräche jederzeit zur Verfügung.
- Diana Junghans, Schulleiterin Gemeinschaftsschule Wentorf
- Matthias Schmidtke, Schulleiter Gymnasium Wentorf